Saturday, November 11, 2006

Ich dachte...

"Höchste Zeit, hier zu verschwinden" denke ich, doch als ich aufstehe und nach meiner Jacke greife, hält er mich am Handgelenk fest.

"Wo willst Du hin?" fragt er mit diesem Ton in der Stimme, der an ein weinerliches kleines Kind erinnert. "Weg!" sage ich ziemlich ruppig und reiße förmlich meine Hand von ihm. "Ich dachte, wir könnten mal kurz reden" sagt er und schon lange hat mich niemand mehr so traurig angeschaut.

Er sitzt noch immer in diesem braunen Sessel, seit drei Stunden. Drei geschlagene Stunden sitzt er da und starrt mich an, während er Akkorde auf seiner Gitarre schlägt, und sagt kein Wort. Ich könnte schwören, er hat er mir ein Loch in den Kopf gestarrt. Was will er eigentlich?

In seinen dunkelblauen Jeans und dem schwarzen Hemd sieht er gar nicht mal so schlecht aus, dass muss ich zugeben. Seine blauen Augen kommen dadurch unter seinen dunkelblonden Haaren erst richtig gut zur Geltung. Die neue Frisur steht ihm gut, sie betont sein männlich-markantes Gesicht, seine Wangenknochen und sein von ihm so verhasstes eckiges Kinn. Ich war schon immer der Meinung, dass er ein schöner Mann sei, bis gestern.

"Worüber willst du denn reden?" beginne ich, während ich meine Jacke anziehe und in den Jackentaschen nach meinen Zigaretten suche. Er legt seine Gitarre zur Seite und steht auf, stellt sich vor mich und hält mir sein Päckchen Zigaretten hin. Ich nehme eine und stecke sie mir an. "Können wir unter vier Augen reden?" fragt er zurück und so langsam bekomme ich ein ungutes Gefühl in der Magengegend. Statt zu antworten, kann ich nur leicht nicken. Was will er eigentlich?

Wir verlassen die Party und wir stehen vor meinem Wagen. "Wohin?" frage ich, während ich die Fahrertür öffne. "Zu mir oder zu Dir?" fragt er dreist lächelnd, doch als er meinen angepissten Gesichtsausdruck sieht, entschuldigt er sich. "Das sollte ein Scherz sein. Lass uns ins Pub gehen, ich brauche ein anständiges Bier und gute Musik" sagt er und zieht seinen Autoschlüssel aus der Hosentasche.

Wir sitzen im Pub und trinken unser Bier. Wir sitzen seit zehn Minuten im Pub und noch immer hat er nichts gesagt. "Was willst Du eigentlich?" frage ich ihn schließlich, als ich mein Bier absetze. "Das weißt Du doch" sagt er und schaut mich mit gesenktem Kopf an. Ich schaue ihn mit meinem "Würde ich dann fragen?"-Blick an und er beginnt, ungeduldig auf dem Stuhl zu rutschen.

"Ich weiß, dass Du mich gestern gesehen hast" fängt er schließlich an. "Und?" frage ich wieder ziemlich ruppig und diesmal auch ungeduldig. "Es tut mir leid." sagt er und greift nach meiner Hand. Ich entziehe sie ihm und verschränke die Arme. "Das muss Dir nicht leid tun. Es kann nunmal nicht alles so laufen, wie ich es mir erträume" sage ich frei heraus und bereue gleichzeitig, dass ich das gesagt habe. Er beginnt zu lächeln und rückt mit dem Stuhl etwas näher. "Wie Du es Dir erträumst? Darf ich fragen, was das für ein Traum ist?" fragt er neugierig und in seinen Augen spiegelt sich das Kerzenlicht.

Ich atme tief ein und spiele am Etikett der Bierflasche, doch ich sage nichts. "Du machst das nur, wenn Du nervös bist. Was ist los?" fragt er. In diesem Moment kommt mir "Carpe diem" in den Sinn und die Frage "Was habe ich denn schon zu verlieren?" schießt mir durch den Kopf. Ich atme tief ein und lege los:

"Ich mag Dich. Ich mag Dich wirklich. Man kann sogar sagen, dass ich Dich sehr gerne habe. Als ich Dich das erste Mal gesehen habe stand für mich die Zeit still. Ich will nicht sagen, dass es Liebe auf den ersten Blick war, aber als ich Dich auf diesem Konzert gesehen habe, schien sich die Menge zu spalten, so, als wollte irgendeine größere Macht, dass ich Dich auf jeden Fall bemerke. Mein Kopf war auf einmal leer und ich konnte an nichts anderes mehr denken, als an Dein Lachen. Den ganzen Abend habe ich Dich im Auge behalten, in der Hoffnung, Du würdest mich irgendwann bemerken und als Du dann plötzlich vor mir stands, dachte ich, ich würde aufhören zu atmen oder dass sich die Erde auftun würde, damit ich in ihr verschwinden und mit ihr verschmelzen kann."

Während meines Geständnisses kann ich ihn nicht anschauen, aus Angst, ich könnte die Reaktion bekommen, die ich nicht haben will. Ich will meinen Traum nicht verlieren, aber warum soll ich ihm das alles verschweigen, wenn ich in der Tat nichts zu verlieren habe?

Ich nehme einen großen Schluck von meinem Bier und stecke mir eine Zigarette an.

"Ich habe die Leute dafür bezahlt" sagt er schließlich nach einer halben Ewigkeit der Stille. "Was? Wofür hast Du sie bezahlt?" frage ich und reibe mir die Druckstellen der Brille auf meinem Nasenrücken. "Dass sich die Menge spaltet, damit Du mich endlich siehst". Er spricht sehr ruhig im Gegensatz zu mir. Ich schaue auf und sein Augen funkeln, diesmal nicht vom Kerzenschein. Ich muss lächelnd. "Was?" - "Okay, ich habe ihnen kein Geld gegeben, aber ich habe ihnen gedroht." spricht er weiter und ich muss kurz lachen. "Es waren mindestens 2.000 Leute anwesend." - "Aber das klingt doch toll, oder? Ich habe Dich vor der Halle schon bemerkt und als ich Dich nach dem Konzert am Ausgang gesehen habe, habe ich ohne ein Wort zu sagen meine Freunde alleine gelassen und bin hinter Dir her. Ich wollte meine letzte Chance, Dich kennen zu lernen, nicht verpassen" flüstert er während er seine Hände flach auf den Tisch legt.

"Warum?" frage ich, und diesmal klinge ich wie ein weinerliches kleines Kind. Was er gerade gesagt hat, ist wunderschön und dennoch verstehe ich es nicht. Er ist schöner Mann, er könnte tausende von bildschönen Frauen haben. Warum wollte er MICH kennenlernen?

"Du hast eine wunderschöne Aura" sagt er und ich verschlucke mich fast an meinem Bier. "Was??" frage ich entsetzt. "Manchmal sind Fragen, die mit 'Warum' beginnen irrelevant. Warum akzeptierst Du es nicht einfach?" - "Weil... ich das nicht kann. Ich will nicht akzeptieren, dass DU mich kennen lernen wolltest..." beginne ich und hasse mich dafür.

"Warum ist das so abwegig? Du bist hübsch, hast wundervolle Augen, einen wunderschönen Mund, eine Ausstrahlung, die der Sonne Konkurrenz machen könnte..." Jetzt werde ich rot. Ich halte meine Hand vor's Gesicht und bitte ihn, aufzuhören. "Warum willst Du, dass ich aufhöre? Honey, ich versuche Dir gerade krampfhaft klar zu machen, dass ich mir eine Zukunft mit Dir vorstellen könnte, mit allem pi-pa-po und Du willst, dass ich damit aufhöre?" er klingt verzweifelt. "Honey?" frage ich und nun ist es an ihm, rot zu werden. Ich muss lächeln, denn bisher hat mir noch nie jemand einen Spitznamen auf diesem Gebiet verpasst, bis auf das übliche "Schatz". "Ja... also... als wir uns das erste Mal getroffen haben, hattest Du einen leichten Honiggeruch an Dir. Und da ich Anfangs ja nicht wusste, wie Du heißt, habe ich Dich in Gedanken 'honey' geannt." erklärt er mir kleinlaut. "Wie hast du mich denn genannt?" fragt er schließlich, als ich nichts sage und nur lächle. "Du warst mein blonder Engel" sage ich und als er nach meiner Hand greift, entziehe ich sie ihm nicht mehr. "Bin ich das noch immer?" fragt er und als ich seine Hand drücke, versteht er, dass er es immer sein wird.

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